Maria Zinfert

Grauzonen. Das Schreiben von W.G. Sebald: Versuchsanordnung mit schwarzweißen Fotografien

erschienen in: Raul Calzoni u. Massimo Salgaro (Hg.), »Ein in der Phantasie durchgeführtes Experiment«, (VER Unipress) Göttingen 2010

[…] Diesen unwiderstehlichen Zwang im fotografischen Bild, und nur dort, nicht aber in älteren Bildmedien, die unscheinbare Stelle zu finden, an der sich in der Vergangenheit die für den Fotografierten noch zu vollendende Zukunft vom Betrachter rückblickend entdecken lässt, konstatiert Benjamin angesichts einer Fotografie der Eltern des Schriftstellers Max Dauthendey aus deren Verlobungszeit. Vom Blick der Braut heißt es bei Benjamin, er gehe an ihrem Bräutigam vorüber und sei »saugend an eine unheilvolle Ferne geheftet«; an eine, wie Benjamin mitteilt, unheilvolle Zukunft, in der sich eben diese auf der Fotografie als Braut zu sehende Frau, die Pulsadern aufgeschnitten haben wird. Was Benjamin als der Fotografie eignende Qualität beschreibt, kann als ein Axiom für W.G. Sebalds Versuchsanordnung gelten. Fotografien machen es möglich »sich diese Konjekturen von Lebensbahnen vor[zu]stellen, die aus den Photographien herauskommen, auf eine viel, viel deutlichere Weise als aus einem Gemälde«. […]

Der Text basiert auf einem Vortrag, den ich auf Einladung von Prof. Massimo Salgaro im Mai 2009 am Dipartimento di Germanistica e Slavistica der Universität Verona und beim "Verein der Bücherwürmer" in Lana (Südtirol) gehalten habe